sans phrase - Zeitschrift für Ideologiekritik

Heft 22, Sommer 2023

Danyal Casar: »Wir hassen deine Religion, verflucht sei deine Moral«. Notizen über Beginn und Ende der Islamischen ›Republik‹ im Iran

Wird die kurdische Avantgarde innerhalb der revolutionären Erhebung von den verschiedenen Fraktionen der iranischen Opposition durchaus anerkannt und von manchen, wie der im US-amerikanischen Exil lebenden Feministin Masih Alinejad, deutlich hervorgehoben, mehrten sich in jüngster Vergangenheit wieder Konflikte um die Frage der territorialen Integrität des Irans. In Mahabad und Saqqez, in Sardasht und Paveh, in Divandarreh und Sanandaj standen sich zwischen 1979 und 1983 militante Kurden und die Wächterarmee dort gegenüber, wo auch heute die Grundzüge der Revolution gegen das khomeinistische Regime vorgeführt werden. Als da wären: 1. die Beteiligung der ruralen Peripherie, um die Beweglichkeit der Repressionsmaschinerie zwischen den urbanen Zentren zu erlahmen, 2. die militante Organisierung der Jugend und 3. der Generalstreik. War eine überwältigende Mehrheit innerhalb der Opposition Ende der 1970er bereit, unter dem drohenden Gebrüll »Allahu Akbar« zu marschieren, schleudern die heutigen Revolutionäre im Iran den Mullahs Slogans wie »Wir hassen deine Religion, verflucht sei deine Moral« entgegen. Sie wollen kein Regime aggressiv antiisraelischer und projektiver Krisenexorzierung. Sie wollen kein militaristisch-okkultes Regime aus Klerus und einer militant-mafiotischen Armee der Wächter der Islamischen Revolution, das sich die nationale Ökonomie zur Beute gemacht hat. Und sie wollen kein Regime, in dem die Unterwerfung der Frauen eine heilige Säule des Gemeinwesens ist. Es wäre zu hoffen, dass eine Opposition, die darin ihren Minimalkonsens gefunden hat, nicht an nationaler Borniertheit zerbricht.

Gerhard Scheit: Beginnt der Ukrainekrieg, die Sicherheit Israels zu untergraben? Anmerkungen zur reflektierenden Urteilskraft aus aktuellen Anlässen

So eindeutig die Parteinahme für die Ukraine gegenüber Putins Regime sein muss, soll das »Minimum an Freiheit« den ganzen Sinn behalten, für den Franz Neumann die Formulierung prägte, auch dieser Krieg kann unabhängig von einem praktischen Imperativ nach Auschwitz nicht beurteilt werden, einem Imperativ, der es – anders als der kategorische, aber von ihm nicht zu trennen – mit dem Verhältnis von Mittel und Zweck beziehungsweise Selbstzweck zu tun hat: Durchsetzung und Verteidigung der Vermittlungsformen, wie sie allemal dem Kapitalverhältnis Rechnung tragen – bürgerliche Grundrechte, rule of law, Gewaltenteilung … – niemals nur als Zweck zu begreifen, der das Schlimmere barbarischen, vorkapitalistischen Zwangs verhindere, sondern jederzeit zugleich als Mittel, die Antisemiten, die Feinde Israels zu bekämpfen. Dabei kommt dem jüdischen Souverän als dem einzelnen, empirisch Gegebenen gegenüber den allgemeinen politischen Formen wie Demokratie und Völkerrecht, die als die heutigen Universalien des Politischen verstanden doch höchste Geltung beanspruchen wollen, kategorische Bedeutung zu. Denn diese Formen, in denen das Kapital sich in den verschiedensten Staaten reproduziert und für das staatliche Institutionen idealerweise nur die Voraussetzungen für seine Zirkulation einschließlich des Zugangs zum Weltmarkt schaffen, das heißt die Zirkulation eben nicht durch die eigenen hierarchisch-bürokratischen beziehungsweise racketförmigen Kommandostrukturen ersetzen wie in Staaten ohne Wahlen, Gewaltenteilung und unabhängiger Zentralbank – diese Formen können ihrerseits weder logisch, also an sich, noch historisch, also nach Auschwitz, das Besondere sein, subsumieren oder ersetzen, von dem im Sinne des kategorischen Imperativs nach Auschwitz auszugehen ist.

Lyn Julius: Opfer oder Kollaborateure? Der europäische Kolonialismus als Gegenstand judenfeindlicher Mythenbildung

Während sie den Dhimmi-Status beschönigen, übersehen Studien wie die von Schreier die Tatsache, dass das islamische Recht eine ›koloniale‹ Gesellschaftsordnung vorgegeben hat. Der französische Historiker Georges Bensoussan stellt fest, dass die Hierarchie unter muslimischer Herrschaft auf Unterwerfung beruhte. Der Muslim unterwirft sich Allah, die muslimische Frau unterwirft sich ihrem Mann, der nicht-muslimische Dhimmi unterwirft sich dem Muslim. Ganz unten steht der Sklave. Der Sklavenhandel war ein riesiges arabisches Unternehmen, und das jüdische Recht musste Wege finden, um auf die erpresserischen Forderungen zu reagieren. Noch 1890 wurden Jüdinnen und Juden in Marokko versklavt und verkauft. Im Jahr 1896 wurden in Ghardaïa, einer Stadt in der Sahara, jüdische Frauen und Mädchen auf einem öffentlichen Platz als Ware angeboten. Die Bedingungen für die jüdische Bevölkerung waren in Nordafrika, Jemen und Persien im Allgemeinen schlechter als im Herzen des Osmanischen Reiches. Ein Reisender bemerkte: »Als Dhimmis gediehen die tunesischen Juden. Aber natürlich ist Gedeihen relativ. Wenn man auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter steht, ist man froh, wenn man nicht im Schlamm darunter kriechen muss.«

Albert Memmi: Bin ich ein Verräter? Die Selbstkritik des Autors von Portrait d’un Juif

Aber ich beeile mich hinzuzufügen, dass die Juden in ihrem Zustand der Unterdrückung unter muslimischer Herrschaft und noch mehr in der kolonialen Situation den einzigen ihnen offenen Ausweg nahmen. Die arabische Kultur und Sprache, die orientalischen Sitten und Gebräuche, die arabisch-islamische Zivilisation – das war Vergangenheit, eine dunkle Vergangenheit voller Angst, voll wirtschaftlicher und kultureller Armut. Um in das Licht der aufgeklärten Kultur zu treten, in den Genuss von Macht und Annehmlichkeiten der Zivilisation zu kommen, Teil der modernen Geschichte zu werden und die zeitlose Stagnation hinter sich zu lassen, in der die ehemaligen türkischen Besitzungen Nordafrikas versunken waren, mussten die Juden durch Europa gehen, Frankreich adoptieren und von ihm adoptiert werden. An diesem Punkt wurde deutlich, dass die muslimischen Eliten ähnlich empfanden. Auch sie begannen sich zu europäisieren, Französisch zu sprechen, Jacketts und lange Hosen zu tragen und ihre Kinder in die Schulen der Kolonisatoren zu schicken. Doch diese Annäherung blieb begrenzt und wurde durch das Ressentiment gegen den Eroberer erschwert. Die Juden aber stürzten sich kopfüber voran; sie waren nicht von den Franzosen besiegt worden und sie hatten nichts zu verlieren.

So entstand jedenfalls eine jüdische Bourgeoisie, deren Kultur, Geschmack und Bestrebungen fast ausschließlich französisch war. Ihre Kinder studierten in Europa und kehrten als Ärzte, Apotheker und Anwälte zurück. Sie bildeten eine neue Klasse von Fachleuten – dynamisch, aktiv und wohlhabend –, in Ländern, die solche Fachkräfte dringend brauchten. Das Ghetto blieb verarmt, schöpfte aber verständlicherweise Hoffnung aus dem Erfolg seiner Bourgeoisie. Die gelegentliche Karriere eines Sohnes aus dem Ghetto, der es zum Arzt, Anwalt oder reichen Kaufmann gebracht hatte; der in einer europäischen Stadt lebte; er bewies, dass der Weg zum Erfolg für alle offen war.

Karl Pfeifer: Zionisten zur arabischen Frage. Einige noch immer notwendige Stichworte

Bereits am Tag nach dem Teilungsbeschluss der Generalversammlung der UNO am 29.11.1947 haben arabische Banden jüdische Zivilisten ermordet. Die darauffolgenden bürgerkriegsähnlichen Zustände führten zur Flucht von zehntausenden Arabern, viele von ihnen waren Einwanderer oder deren Nachkommen. Einige der lautstärksten arabischen Palästinenser waren und sind Nachkommen von Einwanderern, was man an ihren Familiennamen wie al Masri oder Hourani usw. erkennen kann. Laut dem Bericht des United Nations Special Committee on Palestine (UNSCOP), der am 3.9.1947 der Generalversammlung der UNO vorgelegt wurde, lebten 1922 486.177 Muslime in Erez Israel, 1946 waren es bereits 1.076.783, d.h. 121 Prozent Zuwachs. In keinem anderen Land der Region gab es damals eine derartige arabische Einwanderungsbewegung. Das wird von den »Israelkritikern« konsequent verschwiegen.

Pierre Jouve: Berlineske 1937. Flensburger Straße 17

Viele Krähen an den Ufern der Spree, die derselbe Fluss geblieben ist. Bäume zuhauf und andere Betonwohnhäuser rings um den Tiergarten, als Ganzes eher eintönige Rekonstruktion; nur die von den Bomben verschonten Häuser sind von Belang. Eine trostlose Ampelkreuzung, davor erinnert eine Gedenktafel an das Verschwinden der Synagoge. Spaziergänger gehen gleichgültig vorüber, mit ihren Hunden, die an die Stele pissen. Eine andere verwitterte Tafel zeigt an, dass die Dichterin Nelly Sachs bis zu ihrer Flucht nach Schweden 1940 auf der Flensburger Straße lebte – für mich, meine undeutlichen Erinnerungen und meine Rätsel das Zentrum der Welt.

Auch Nelly Sachs kämpfte gegen den Wahnsinn. Ihr Schicksal ist für mich verknüpft mit der jüdischen Berliner Schauspielerin, die mein Vater 1933 für meine Mutter verlassen hatte. Mein Vater schleppte bis zu seinem Tod 1991 ein schweres Schuldgefühl mit sich herum, sich nicht darum gekümmert zu haben, was aus dieser jungen Frau geworden war, als er 1937 wieder nach Berlin zurückkehrte.

Jetzt trage ich diese Schauspielerin in mir, ohne jede Genauigkeit, ohne Identität, ohne Ort oder irgendein Bild. Ich lasse sie in der Flensburger Straße wohnen, inmitten der Gespenster meiner menschlichen Komödie.

Ich bin nicht körperlich in Berlin geboren, aber ich bin dort geboren, mit den Mysterien dieser verschwommenen Erinnerungen. Welche geistige Abmachung hatten nun meine Eltern miteinander getroffen im Hinblick auf diesen verlängerten Aufenthalt in der unerträglichen Hauptstadt der Nazis? Eine Abmachung, die für meine Mutter mit dem Risiko einherging, verrückt zu werden; was denn auch geschah.

Marlene Gallner: In den Antinomien der Meinungsbildung. Zur Frage, warum der postkoloniale Geschichtsrevisionismus in Deutschland heute auf fruchtbaren Boden fällt

»Seit Hitler sind die Juden … die Manövriermasse der Macht«, bemerkte Geisel. »Der Staat kann sie, je nach Konjunktur, verderben oder beschirmen, vernichten oder beschützen. Was im Feudalismus noch reine Laune des Herrschers war, das hat die moderne Exekutive planmäßig in Regie genommen. Ihr geht es, wenn sie Juden schützt oder opfert, anders als bei Hofe nicht um die Kasse, sondern um den seelischen Haushalt der Nation.« Auch im Erinnerungsgeschäft werden die Juden als Manövriermasse benutzt. Sind sie einem nützlich und bringen einen eigenen Gewinn, beruft man sich gern auf sie, wie im Fall des Berliner Holocaustdenkmals. Werden sie jedoch als störend empfunden, heißt es, die Erinnerung an die Judenvernichtung sei nicht mehr »zeitgemäß«. So geschehen in Österreich im Jahr 2021, als mehrere Zeithistorikerinnen und -historiker, die aufgrund »ihrer Positionen in renommierten heimischen Institutionen« lieber anonym bleiben wollten, darauf bestanden, dass ein Holocaustmahnmal, das nur jenen gedenkt, die »aufgrund der Nürnberger Gesetze verfolgt wurden«, ein »nicht mehr zeitgemäßer Zugang« sei. Heute gehe es um inklusives Gedenken, um zeitgemäße – das heißt: intersektionale – Erinnerungsarbeit.

Marketa Bajgerova Verly / Ljiljana Radonić: Produktionsspionage in Sachen Erinnerungsgeschäft. Xi Jinping und die Geschichtspolitik – Ein Interview

Eine andere Art, wie sich der neue Erinnerungstrend manifestiert, zeigt sich in der fortschreitenden Beteiligung der Museen an der ›Globalisierung der Erinnerung‹ und an internationalen Erinnerungstrends. Am deutlichsten wird dies in Chinas Auseinandersetzung mit dem Holocaust, auf den die Museen nun sowohl in den Musealisierungstechniken als auch in der musealen ›Erzählung‹ Bezug nehmen. Seit kurzem taucht die Geschichte der jüdischen Flüchtlinge aus Shanghai in den Museen zum ›Widerstandskrieg‹ auf, zusammen mit einer Vielzahl chinesischer ›Schindler‹ beziehungsweise einzelner Chinesinnen und Chinesen, die den Verfolgten des Naziregimes zur Flucht verhalfen. (Es ist hier auch darauf hinzuweisen, dass als ›Schindler‹ im chinesischen Museum auch eine Frau bezeichnet wird, die hauptsächlich politischen Gefangenen und nicht Juden half.) Dies geschieht im Museum in einer spezifischen Weise, die China in die Rolle des ›Retters‹ rückt, die Erfahrungen der Flüchtlinge in Shanghai im Gegensatz zu vielen Erfahrungsberichten glorifiziert und zugleich jeden weiteren Kontext des Holocaust in Europa, vor dem sie geflohen sind, ausblendet.

H.v.Z.: Politik mit Begriffen. Neue Kapriolen der Bahamas

»Zivilisation in ihrer staatlichen Gestalt macht zu ihrem Subjekt nicht den freien sich mit anderen freien Subjekten zum gegenseitigen Nutzen austauschenden Privatmann, sondern den Untertan, der angetreten ist, die Krisen des Kapitals mit den Mitteln des Kapitals zu meistern.« Dagegen setzt man als Sinn und Zweck die »Einführung einer Produktion, die keine Waren, sondern Gebrauchsgüter schafft«, als ob Waren keine Gebrauchsgüter wären und als ob es nicht darauf ankäme, eben das Verhältnis zu bestimmen, in welchem der Ausschluss aller durch alle vom Genuss der »nützlichen Dinge« (Marx) beschlossen ist (wie wiederum Joachim Bruhn nicht müde wurde zu betonen). Solange dieses Verhältnis nicht seiner Form nach begriffen wird, sondern als eine ihrem ursprünglichen Sinn beraubte Produktion, bleibt auch die erhoffte Einführung einer Produktion, die keine Waren schafft, nolens volens an den Staat adressiert. Sie aber seiner Form nach zu begreifen, ist zugleich die Voraussetzung, Auschwitz nicht aus ihm abzuleiten, als handle es sich um Mehrwert; die Zäsur zu erkennen, mit der diese Taten noch die Bedingungen ihrer Möglichkeit hinter sich ließen, die sie mit dem Staat des Kapitals gemeinsam haben. Andernfalls kommt man in schlecht marxistischer Tradition zu dem Ergebnis, dass man es bei der nationalsozialistischen Politik nun eben doch nicht mit einem Bruch zu tun habe: »Kein Bruch mit der Zivilisation war die Vernichtung der europäischen Juden, nimmt man die für ihre Konstitution notwendige Produktionsweise nicht aus«. Über die Produktionsweise selbst gibt es dagegen Vermutungen, die in der Sprache der Verschwörungstheoretiker angedeutet werden, statt mit dem Marxschen Begriff des automatischen Subjekts; statt also real Abstraktes und politisch Konkretes zu unterscheiden: »Im Staat des Kapitals west zwar kein unpersönliches Subjekt, das dem Regierungspersonal einfach ihr [sic!] Handeln vorschreibt, und doch scheinen hinter ihrem [sic!] Rücken Kräfte am Werk zu sein, die nicht ›entlarvt‹ werden können. Es doch zu unternehmen lässt den Einzelnen bei der Suche nach den Urhebern seiner Angst auf pathische Projektion verfallen und auf die Suche nach dem Schädling im Haus ausgehen.« Der Ratschlag lautet offenbar, letzteres besser nicht zu unternehmen. Indem man aber selber von Kräften raunt, die hinter dem Rücken des Regierungspersonals am Werk seien, ohne sie zu bestimmen, außer dadurch, dass sie die Formen, in denen sie wirken, ihres ursprünglichen Sinns berauben müssen, hält man sich die Möglichkeit offen, bei Gelegenheit den politischen Feind und Sinnräuber wieder in ›Globalisten‹, ›Eliten‹ oder ›Impfregime‹ auszumachen, um sich der durch den Bahamas-Artikel möglicherweise vergraulten Gesinnungsgenossenschaft erneut zu versichern.

Tobias Messerer: Umlaufszeit >= 0. Information, Werbung und Zirkulation in der Plattform-Ökonomie

Es findet sich lediglich eine vage Vorstellung davon, was denn Digitalisierung überhaupt sein soll. Grundsätzlich werden zunächst alle Phänomene darunter subsumiert, die irgendwelche Tätigkeiten in den ›Raum‹ des World Wide Web oder zumindest auf Computer verpflanzen. Für eine Begriffsbestimmung muss jedoch die ›Digitalisierung‹ in ihrer Stellung zum kapitalistischen Warentausch untersucht werden. Das bedeutet, dass diese Erscheinungsformen mit den Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie in Konstellation zu bringen wären. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, eine begriffliche Trennung von digitalisierter Ökonomie und Digitalökonomie vorzunehmen: Digitalisierte Ökonomie sei dadurch bestimmt, dass durch den Einsatz von Algorithmen als Datenverarbeitungsprozessen eine Effizienzsteigerung innerhalb eines Produktionsprozesses stattfindet. Als Digitalökonomie soll hingegen ein Geschäftsmodell der Zirkulation bestimmt werden, das Algorithmen als Datenverarbeitungsprozesse und eine sich damit einstellende Eigenlogik notwendig zur Voraussetzung hat. Aus dieser Eigenlogik bilden sich große Plattformen heraus, durch die diese Unternehmen erst einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten zur Entfaltung bringen können. Der Arbeitssoziologe Philipp Staab fördert zum Themenkomplex einer so verstandenen Digitalökonomie durchaus Lesenswertes zu Tage, ebenso der kanadische Autor – Koryphäe der angelsächsischen Linken – Nick Srnicek in einem schmäleren Buch. Interessierte Fehleinschätzungen hinsichtlich der Stellung der ›Information an sich‹ im Verhältnis von Produktions- und Zirkulationssphäre lassen beide jedoch nicht über eine Affirmation von Staat und bürgerlicher Gesellschaft hinausgehen.

Lukas Kurth: Unter einem Himmel gegen Amerika. Cixin Lius Science-Fiction als literarischer Kampf für den ›Imperialismus‹ chinesischer Prägung

Das ideologische Kernmotiv Cixin Lius lässt sich unschwer als die spezifisch literarische Gestalt einer für die kontemporäre chinesische Staatsideologie konstitutiven Idee entziffern, nämlich dem von Zhao Tingyang in die Gegenwart übersetzten antiken Herrschaftsmodell des Tianxia. Hierunter ist »ein inklusives Konzept der globalen Kooperation« zu verstehen, »das mit dem westlichen Modell der Hegemonie und des egoistischen Individualismus breche und der kulturellen Vielfalt Rechnung trage«. Cixin Lius Invektiven gegen den der Logik des Wertgesetzes (welches im Übrigen in keinem seiner Werke nennenswerte Erwähnung findet) entsprungenen und zuvorderst im Westen verorteten Egoismus und Individualismus entpuppen sich als unverhohlene Werbung für das chinesische Gegenmodell zur westlichen Hegemonie, das statt ungezügelter Marktkonkurrenz »materielle Besserstellung und freien Warenverkehr« und statt egoistischer Nutzenmaximierung den »Vorrang der Gemeinschaft vor dem Einzelnen« propagiert. Desiderat jenes Modells ist nach außen gewandt eine politische Ordnung, in der »alle Kulturen und Religionen … harmonisch und ohne ›einseitigen Universalismus und Kulturimperialismus‹ unter dem Schirm einer nicht näher bestimmten ›Weltsouveränität‹ im Frieden miteinander leben« und nach innen hin ein autoritäres Modell staatlicher Totalherrschaft zur repressiven Absicherung der besagten politischen Ordnung innerhalb des Staates – wobei die staatliche Totalherrschaft als ›Sozialismus chinesischer Prägung‹ und der ›Weltsouverän‹ selbstverständlich in Gestalt Chinas zu denken ist.

Aron Weiss: Vorherbestimmung und Zufall. Anmerkungen zu Stanisław Lems Provokation

Umso brutaler also wirkte auf ihn die ›Ordnung‹ des Dritten Reichs: in seinen Schriften spricht ohne Unterlass der enttäuschte Humanist, der sich dennoch nicht seiner Hoffnung berauben lässt. Lems Helden sind der bestehenden Gesellschaft gegenüber fremd, benehmen sich fast äußerlich zu ihr, einzig der Zwang hält sie dort fest, sodass sie ihr nicht zu entrinnen vermögen: so ist etwa Lems vermutlich populärster (Anti-)Held Ijon Tichy in den unmöglichsten Situationen gefangen, stets durch die Verkettung ungünstiger Umstände mit nicht vermeidbarer Zwangsläufigkeit: das Gros der Abenteuer Tichys wird mit dem allgemeinen Einverständnis über dessen Unersetzbarkeit in Fragen der anstehenden Herausforderung eingeleitet. Lem macht deutlich, dass dem Protagonisten widerfahren muss, was ihm widerfährt. Exemplarisch ist Tichys Rolle als wiederkehrender Vertreter der menschlichen Vernunft, wenn er am Futurologischen Kongress teilnimmt, um dem allgemeinen Wahnsinn rationaler Zukunftsplanung mit mürrischer Haltung beizuwohnen oder in Der Flop sogar als aktiver Part an gattungserhaltenden Forschungen teilnimmt. Bemerkenswert ist, wie weit Lem den Widerstand des Einzelnen selbst in diesen absurden Szenarien noch zulässt, indem er ihn nicht nur darstellt, sondern ausdrücklich betont.

Stanisław Lem: Provokation. Besprechung eines ungelesenen Buches

Eben das ist die große Versuchung, die im Bodensatz der Bombenkrater erstarrte, in denen der Nationalsozialismus versank, eine von allen Zügeln befreite rohe Gewalt, von einer noch stärkeren Gewalt zerschmettert. Dort in den Bombenkratern – und in der Asche auf den Rosten der Krematoriumsöfen – liegt immer noch ein Schatten dieser lockenden Versuchung, nämlich die gewaltigsten Taten zu vollbringen, deren der Mensch fähig ist. Nicht der fiebrige Schauder des Meuchelmords, sondern Mord als rechtschaffene Tat, als heilige Pflicht, aufopferungsvolle Mühsal und als Ruhmestitel. Deshalb waren zwangsläufig alle unblutigen Varianten der »Endlösung der Judenfrage« zu verwerfen. Deshalb konnte sich der Nationalsozialismus auf keinerlei Verträge, Abkommen oder Burgfrieden mit den unterjochten Völkern einlassen. Nicht einmal von der Taktik diktierte Milde oder Mäßigung durfte es geben. Folglich ging es nicht »nur« um »Lebensraum«, nicht »nur« darum, daß die Slawen den Siegern dienen sollten, daß die Juden von der Bildfläche zu verschwinden hatten, indem sie ohne Nachkommenschaft ausstarben oder das Land verließen. Mord sollte Staatsraison sein, ein Instrument staatlicher Politik, das durch kein anderes zu ersetzen war.

Gerhard Scheit: Naturen. 1. Teil: Die Träume der frühen Geisterseher des Kapitals erläutert als späte Metaphysik

Denn anders als der Begriff der Natur, der in ›freier‹ Natur nicht vorkommt, kommt der Begriff der Gesellschaft in der unfreien Gesellschaft sehr wohl vor, und das auszudrücken, ist ohne Anleihe bei Hegel gar nicht möglich. So heißt es in den Grundrissen: »Der Begriff des Reichtums ist so zu sagen in einem besondren Gegenstand realisiert, individualisiert«; und im Zweiten Band des Kapitals: »Abstraktion in actu«. Das Kapital ist das Haupt, in dem diese Abstraktion stattfindet, aber es denkt nicht; ist kein Gehirn, wie es menschliche Individuen haben, wodurch etwas gewusst oder nicht gewusst, wodurch also gedacht werden kann. Dass diese Individuen aber auch etwas tun können, was sie nicht wissen oder wissen wollen, ist Bedingung fürs Kapitalverhältnis, wenn auch keine hinreichende, und erzeugt den Schein, dass dieses Verhältnis in den Individuen denkt: »Sie wissen das nicht, aber sie thun es«, sagt Marx eben deshalb über die Menschen, soweit sie »ihre Produkte auf einander als Waaren« beziehen und darin gezwungen sind, »ihre verschiednen Arbeiten abstrakt menschlicher Arbeit gleichzusetzen«. Damit halten sie – ohne es zu wissen –, in ihrem Tun, in dessen Eigenschaft als »Funktion des Kapitals«, an einem Zweck über alle anderen Zwecke hinweg fest, und solange sie das tun, ist jenes Als-ob der Totalität in ein Id est verwandelt und die Totalität Wirklichkeit. Daran scheitert auch die Kantische Kritik der Urteilskraft, und zwar gerade dort, wo es unmittelbar um diese Gesellschaft geht: in den teleologischen Anmerkungen über Staat und weltbürgerliches Ganzes, Fortschrittsbegriff und Handelsgeist. Letzterer trägt seinen Namen nicht zufällig. Wenn sich Kant in der »Methodenlehre« seiner Kritik dem Politischen zuwendet, möchte er wieder vergessen machen, was er die Anhäufung der »Naturen« betreffend, die Natur heißt, doch für durchaus möglich halten muss: »ein rohes chaotisches Aggregat und nicht die mindeste Spur eines Systems« – obwohl »wir ein solches nach transcendentalen Gesetzen voraussetzen müssen«.

Manfred Dahlmann: Totale Vergesellschaftung und totale Herrschaft. Zur Kritik der Totalitarismustheorie Hannah Arendts

Für Arendt ist Rechtlosigkeit mit Weltlosigkeit identisch. Mehr noch, die Rechtlosigkeit erzeugt die Barbaren, die unserer Zivilisation den Garaus bereiten werden. Eine andere Möglichkeit als die, diese Menschen zu Staatsbürgern zu machen, um sie und die Zivilisation zu retten, sieht sie nicht. Wenn aber, anders als von Arendt unterstellt, die »Gemeinsamkeit«, durch welche die Welt eine »verständliche« wird, nicht vom Nationalstaat hergestellt wird, sondern die gesellschaftliche Synthesis durch den Wert das identische Moment ist, durch das hindurch ein Mensch seinen Weltbezug gewinnt, dann hat der Mechanismus, in dem der Bürger sich mit seiner Nation identifiziert und darüber zu einen Staatsbürger wird, seinen Grund nicht in der Zuerkennung von Rechten durch den Staat, sondern darin, dass sich dieser Mensch auf Märkten bewegt, wo er kaufen und verkaufen kann, was ihm beliebt – sofern er über Geld oder Arbeitskraft verfügt. Das Recht ist dann Ausdruck dieser Wirklichkeit – und nicht, wie bei Arendt, umgekehrt. Auf diesen Märkten ist jeder Mensch immer schon das »allerallgemeinste und das allerspeziellste, das beides gleichermaßen abstrakt ist« – das aber gerade deshalb nicht »weltlos bleibt«, sondern unter den Bedingungen totaler Vergesellschaftung erst infolge dieser Abstraktion zum in der Welt existierenden Menschen wird.

Im Individuum selbst konstituiert sich schon die Einheit und Differenz zu sich selbst. Die Welterfahrung ist nur als Folge dieser grundsätzlichen Bestimmung des Individuums als Einheit in einer Differenz zu begreifen – den Staat oder das Recht braucht das Individuum, um sich in der Welt bewegen zu können, nur in der bürgerlichen Gesellschaft. An sich aber überhaupt nicht. Denn das einzig notwendig Allgemeine, dass dieser Einheit des Individuums gegenübersteht, ist der Begriff der Menschheit.

Frank Müller: Adornos Anfänge in Frankreich

Auch wenn es nach manchen deutsch-französischen Debatten und Kontroversen der letzten Jahrzehnte nach wie vor unwahrscheinlich erscheinen mag: Adorno selbst hatte keine Vorbehalte gegenüber Frankreich, er pflegte Zeit seines Lebens zahlreiche Kontakte nach Frankreich und er war an einem Austausch mit bestimmten französischen Intellektuellen sowie der Übersetzung und Rezeption seiner eigenen Arbeiten lebhaft interessiert. Mit dem Ende des Exils in den USA, nach der Entstehung der Dialektik der Aufklärung und großer Teile der Minima Moralia, stand er ab 1945 mit einer Reihe von französischen Freunden, Kollegen und Intellektuellen kontinuierlich in Kontakt. Er begann ab Mitte der 1950er Jahre erste Zeitschriftenartikel und Bücher in französischer Übersetzung zu publizieren und reiste ab Ende der 1950er Jahre für mehrere Vorträge nach Frankreich. Diese frühen Zusammenhänge einer französischen Adornorezeption fallen erst heute ins Auge, da Adorno nach dem Ende der strukturalistischen, poststrukturalistischen und postmodernen Moden in Frankreich auf großes Interesse stößt. Wie sich nun zeigt, hat dieser Zusammenhang eine eigene Geschichte. Diese Geschichte beginnt negativ und steht im Widerspruch zu Adornos ausdrücklichem Wunsch, in Frankreich als Theoretiker wahrgenommen zu werden. Sie verlief anfangs vereinzelt und zögerlich, enthielt verpasste Gelegenheiten und Irritationen. In diesem Sinne soll zuerst einmal skizziert werden, was die französische Adornorezeption entgegen naheliegenden Erwartungen nicht war.

Lucien Goldmann: Ein paar Bemerkungen über die Philosophie Theodor. W. Adornos (1957)

Wir können sagen, dass unserem Wissen nach das Institut für Sozialforschung aus Frankfurt der einzige Ort ist, an dem versucht wird, zugleich im Bereich der empirischen Forschung, dem Positivismus und dem Szientismus, die das zeitgenössische soziologische Denken fast vollständig beherrschen, zu widerstehen, wie im philosophischen Bereich dem Irrationalismus im Allgemeinen und der existentialistischen Ontologie  im Besonderen, die beide in der akademischen Philosophie heute eine so große Rolle spielen.

Daraus erklärt sich, warum die Freie Universität von Berlin in Adorno einen der hervorragendsten Repräsentanten dialektischen Denkens im gegenwärtigen Deutschland sehen konnte. Dies lässt auch auf die Ausrichtung seines Vortrags schließen, der dem hegelschen Denken gewidmet ist.

Kostas Axelos: Adorno und die Frankfurter Schule (1959)

Adorno verortet sich in der Nachfolge Hegels und in der Gegenwart des Neomarxismus. Hegel und Marx dominieren das Denken, das ihnen nachfolgt, auch wenn es sich anstrengt, ihnen zu widersprechen, und wenn es dazu gelangt, neue Schneisen zu schlagen, neue Grundlagen zu legen. Kierkegaard, (Schopenhauer), Nietzsche, Husserl und Heidegger, um nicht gleich von Bergson und Sartre zu sprechen, gelingt es nicht, den Kreis der Totalität, der sie umschließt, zu durchbrechen – ein dialektischer, magischer, höllischer, teuflischer Kreis. Heidegger hat das Verdienst, es anzuerkennen. »Die Bewegungen, die sich dieser Metaphysik entgegenstellen«, schreibt er, »gehören ihr an. Seit dem Tod Hegels (1831) ist alles nur noch eine einzige Gegenbewegung, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa.« Trotzdem, das Bedürfnis nach einem neuen Denken, zu dem Nietzsche und Heidegger ihre Beiträge anbieten, macht sich heftig bemerkbar (bei wem?). Dieses neue Denken wäre von gestern, heute und morgen, ohne historizistisch, aktuell oder futuristisch zu sein; es würde entwickelt, um sich im Spiel der Welt zu verbreiten, bevor es banal wird, und nicht, um sofort konsumiert zu werden, dem Erfolg versklavt.

Frank Müller: Negativismus und Nihilismus. Adorno bei Kostas Axelos und in der französischen Zeitschrift Arguments

In einer langen Fußnote gibt er einen kurzen Abriss der bislang erschienenen Schriften Adornos bis zur Husserlschrift von 1956 und dem Hegelvortrag Aspekte der hegelschen Philosophie von 1957. Einen solchen Überblick hatte er bei Adorno unmittelbar zuvor brieflich angefragt, er spricht also nicht unbedingt für eine tiefe Auseinandersetzung mit Adornos Schriften, auch wenn Axelos dadurch den Eindruck erweckt, er würde bereits alle Arbeiten Adornos kennen. Im Zuge seiner Kontextualisierung neigt er wiederum dazu, Adorno einem breiteren hegelmarxistischen Zusammenhang zu subsummieren, was der Sache nach keineswegs ganz so falsch ist, in dem vorliegenden Zusammenhang aber wiederum nur Adornos epigonalen Charakter unterstreicht und außerdem Adornos beginnende Hegelkritik völlig unberücksichtigt lässt: »Adorno verortet sich in der Nachfolge Hegels und in der Gegenwart des Neomarxismus«, heißt es lapidar. Der hegelianische Neomarxismus ist für Axelos nun aber nicht gerade das Ziel der ganzen Geschichte, sondern vielmehr ein leidiges zirkuläres Totalitätsdenken, das man trotz aller Bemühungen nicht los werde: ein »dialektischer, magischer, höllischer, teuflischer Kreis. Heidegger hat das Verdienst, es anzuerkennen.« Allein Heidegger kann somit laut Axelos helfen, die magischen, höllischen, teuflischen Kreise der Dialektik zu durchschauen. Bereits im dritten Absatz seiner Einführung zu Adorno ist Axelos also bei einem Hoch auf Heidegger angelangt. Ganz folgerichtig wird umgehend auch Heidegger und Nietzsche in erster Linie die Fähigkeit zu einem tatsächlich neuen Denken zugesprochen. Von Adorno ist dann bei dieser Diskussion, die Axelos offenbar vorübergehend mit sich selbst führt, gar nicht mehr die Rede: »Trotzdem, das Bedürfnis nach einem neuen Denken, zu dem Nietzsche und Heidegger ihre Beiträge anbieten, macht sich heftig bemerkbar (bei wem?)«. Axelos antwortet sich indirekt selbst, indem er den Tonfall seines eigenen zukünftigen Projekts eines planetarischen Denkens im Spiel der Welt anstimmt: das Planetarische (Heidegger) ersetzt zusehends das Proletarische (Marx), trotz des intendierten Neomarxismus bei Axelos.

Michael Heidemann: Geschichte, Klassenbewusstsein & Freiheit – Aporien der Revolutionstheorie bei Georg Lukács. Teil 3

So kehrt Lukács am Ende des Verdinglichungsaufsatzes doch vom Sein zum Sollen, zur Trennung von Theorie und Praxis, zum unendlichen Progress des ›Allmählich‹ und damit zum Anfang zurück. Daran kann auch der nochmalige Verweis auf den gesellschaftlichen Entwicklungsprozess nichts ändern. Er überantwortet seine Theorie demselben Verdikt, das er zuvor im Antinomien-Kapitel über das ›bürgerliche Denken‹ aussprach: dass es die Differenz von Subjekt und Objekt nicht zu überwinden vermag. Zwar war dies gewissermaßen von Anfang an klar, doch erst im Resultat zeigt sich die wahre Akzentuierung des Gegenstands von Geschichte und Klassenbewusstsein. Lukács ging es weniger um das empirische Proletariat und um eine am historischen Material zu leistende Ideologiekritik, sondern viel eher um eine nach idealistischem Vorbild konstruierte ›Idee des Proletariats‹, die als die kommende Erlösung die Versöhnung des Kritikers mit einem Weltlauf stiften sollte, der die Einheit des Selbstbewusstseins zerrüttet. Gegen die von Lukács behauptete ›allmähliche‹ Verwandlung der Differenz von Subjekt und Objekt der Geschichte in dessen »identisches Subjekt-Objekt«, die mehr Suggestion als begründetes Urteil ist, bleibt bestehen, dass die Revolution aus einer etwaigen Tendenz des Kapitals nicht zu begründen ist, weil die Tendenz des Kapitals in seinem autistischen Selbstbezug doch nur immer wieder das Kapital selbst sein kann. Praktisch zu fordern, eben nicht theoretisch zu begründen, wäre die Revolution allein gegen das Kapital und damit aber auch gegen die Immanenz des Geschichtsverlaufs und des empirischen Daseins der Menschen. Das macht sie nicht zu einer utopistischen Gedankenspielerei, denn die Forderung ergibt sich aus der bestimmten Negation des Bestehenden. Erst durch Konfrontation des im Begriff der Autonomie gedachten Freiheitspotentials der Menschheit mit der im Kapital verwirklichten Freiheit in verkehrter Gestalt ist die Kapitalkritik begründet. »Paradox genug: Die materialistische Dialektik unterscheidet sich von der des objektiven Idealismus durch einen substanziellen Begriff der Freiheit der Menschen und nicht durch einen positiven Begriff der Materie… Eben darin ist die ›Kritik der politischen Ökonomie‹ revolutionär und bedarf darum nicht der Ergänzung durch eine Revolutionstheorie.«