sans phrase - Zeitschrift für Ideologiekritik

Retter des Seins oder Heros des Überlebens. Über Mythos, Philosophie und Polis bei Martin Heidegger und Klaus Heinrich – mit einem Exkurs zu Ulrich Enderwitz’ Reichtum und Religion

Gerhard Scheit | Parataxis | Heft 18, Sommer 2021

Heidegger deutet Homers Odysseus nicht wie Adorno und Horkheimer als kritisches Paradigma des identischen, zweckgerichteten, männlichen Charakters des Menschen, der seine Triebe, die Natur und die anderen Menschen beherrscht und überlistet, um sich selbst zu erhalten, sondern als den unumwundenen Heros des Seins zum Tode, der das Sein noch nicht vergessen habe und sich deshalb verbergen müsse. So entwirft auch Heidegger ein Paradigma, aber als Vorbild für das Subjekt, das sich selbst abschafft. Auch er interpretiert die Odyssee oder die Ilias von der Polis aus, nur dass diese Polis bei ihm als eine Art deutscher Hades entworfen wird. … Nun nimmt aber auch Heidegger etwas vom wirklichen Charakter der Polis insofern wahr, als er das innere Gleichgewicht der gegeneinander gerichtete Kräfte als Notwendigkeit der „Unverborgenheit des Seienden“ darstellt, die sozusagen zusammen mit dem Sein im modernen Staat, der das Gewaltmonopol aufgerichtet hat, vergessen sei. … Darum wäre es vollkommen falsch, die Polis mit den Begriffen des neuzeitlichen Staatsdenkens zu bestimmen, denn der Polis sei das Wesen der Macht fremd, sodass auch die Kennzeichnung der Macht als »böse« hier keinen Boden habe. »Das im neuzeitlichen Staatsdenken gemeinte Wesen der Macht gründet auf der metaphysischen Voraussetzung, daß sich das Wesen der Wahrheit zur Gewißheit und d. h. zur Selbstgewißheit des sich auf sich selbst stellenden Menschenwesens gewandelt hat, und daß diese auf der Subjektivität des Bewußtseins beruht. Kein moderner Begriff ›des Politischen‹ reicht zu, um das Wesen der Polis zu fassen.«  Aber der Nationalsozialismus reicht zu.