sans phrase - Zeitschrift für Ideologiekritik

Wie eine Religion der anderen die Unwahrheit hinzufügt. Drei Thesen über den Begriff des Politischen in der Religionskritik mit einem Exkurs über Philosophie und Sklaverei

Gerhard Scheit | Parataxis | Heft 19, Winter 2021/22

Nach neueren, gut begründeten Annahmen etwa der Saarbrücker Schule um Christoph Luxenberg und Karl-Heinz Ohlig (die sich auch auf Ignaz Goldziher, einen der Väter der Islamwissenschaft, beruft), der im angelsächsischen Raum bereits die Arbeiten von John Wansbrough und dessen Schüler vorangegangen waren, kann der Islam selbst keineswegs als eine plötzlich und ex nihil vollzogene Neugründung vor dem 8. Jahrhundert verstanden werden: Auf eine Rivalität mit einer neuen Religion oder auf einen Religionsstifter namens Mohammed, dessen Taten von der islamischen Überlieferung im 7. Jahrhundert angesiedelt werden, finde sich weder in christlichen und jüdischen, noch auch konkret in arabischen oder anderssprachigen Quellen dieses wie auch des folgenden Jahrhunderts ein Hinweis. Vielmehr ist von einem längeren, über Jahrhunderte sich hinziehenden Prozess auszugehen, der sich zunächst im Koran niedergeschlagen hat: Aus einem Lektionar, dem eine vermutlich von anti-trinitarisch gesinnten Christen angefertigte Übersetzungsversion der Bibel zugrunde lag und worin muhammad noch ein Gerundiv war und als Prädizierung von Jesus als dem »Gepriesenen« firmierte, wurde schließlich das exklusive, der Tora wie den Evangelien übergeordnete Buch eines eigenen Propheten arabischen Ursprungs namens Mohammed, der selber allerdings darin lediglich vier Mal beim Namen genannt wird, in den jedoch die Erinnerung an einen arabischen Stammesfürsten eingegangen sein mag, der wie seine umayyadischen Nachfolger mit den Juden noch Bündnisse geschlossen (worauf auch verschiedene Gebote wie das der Beschneidung hindeuten) und zugleich – soweit er dem Christentum nahestand – gegen die Auffassung von der Dreifaltigkeit Gottes sich gewandt haben dürfte.