Geschichte, Klassenbewusstsein und Freiheit

So kehrt Lukács am Ende des Verdinglichungsaufsatzes doch vom Sein zum Sollen, zur Trennung von Theorie und Praxis, zum unendlichen Progress des ›Allmählich‹ und damit zum Anfang zurück. Daran kann auch der nochmalige Verweis auf den gesellschaftlichen Entwicklungsprozess nichts ändern. Er überantwortet seine Theorie demselben Verdikt, das er zuvor im Antinomien-Kapitel über das ›bürgerliche Denken‹ aussprach: dass es die Differenz von Subjekt und Objekt nicht zu überwinden vermag. Zwar war dies gewissermaßen von Anfang an klar, doch erst im Resultat zeigt sich die wahre Akzentuierung des Gegenstands von Geschichte und Klassenbewusstsein. Lukács ging es weniger um das empirische Proletariat und um eine am historischen Material zu leistende Ideologiekritik, sondern viel eher um eine nach idealistischem Vorbild konstruierte ›Idee des Proletariats‹, die als die kommende Erlösung die Versöhnung des Kritikers mit einem Weltlauf stiften sollte, der die Einheit des Selbstbewusstseins zerrüttet. Gegen die von Lukács behauptete ›allmähliche‹ Verwandlung der Differenz von Subjekt und Objekt der Geschichte in dessen »identisches Subjekt-Objekt«, die mehr Suggestion als begründetes Urteil ist, bleibt bestehen, dass die Revolution aus einer etwaigen Tendenz des Kapitals nicht zu begründen ist, weil die Tendenz des Kapitals in seinem autistischen Selbstbezug doch nur immer wieder das Kapital selbst sein kann. Praktisch zu fordern, eben nicht theoretisch zu begründen, wäre die Revolution allein gegen das Kapital und damit aber auch gegen die Immanenz des Geschichtsverlaufs und des empirischen Daseins der Menschen. Das macht sie nicht zu einer utopistischen Gedankenspielerei, denn die Forderung ergibt sich aus der bestimmten Negation des Bestehenden. Erst durch Konfrontation des im Begriff der Autonomie gedachten Freiheitspotentials der Menschheit mit der im Kapital verwirklichten Freiheit in verkehrter Gestalt ist die Kapitalkritik begründet. »Paradox genug: Die materialistische Dialektik unterscheidet sich von der des objektiven Idealismus durch einen substanziellen Begriff der Freiheit der Menschen und nicht durch einen positiven Begriff der Materie… Eben darin ist die ›Kritik der politischen Ökonomie‹ revolutionär und bedarf darum nicht der Ergänzung durch eine Revolutionstheorie.«

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