Der kaum verborgene Sinn der deutschen Staatsräson scheint darin zu bestehen, den Staat der Juden als dem einzigen praktischen Einspruch gegen die Welt nach Auschwitz und die fortbestehende Möglichkeit der antisemitischen Vernichtung, unter der Hand seinen Staatszweck zu entwenden und ihn dem deutschen Souverän einzuverleiben, indem das »Nie wieder!« in höchst flexibler Bestimmung zum rechtlichen und moralischen Fundament der »wehrhaften Demokratie«, wenn nicht sogar zum inneren Auftrag und eigentlichen Zweck der Herrschaft des deutschen Staats erklärt wird, an dem sich, schon aus Gründen der schicksalhaften Verbundenheit und des paternalistischen Schutzversprechens gegenüber den Juden wegen, auch Israel messen lassen muss. So wird ideologisch ausgerechnet der »Staat des Grundgesetzes«, der die aus der Vernichtung hervorgegangene und bloß zwangsdemokratisierte Volksgemeinschaft zu seiner historischen Voraussetzung hat, als bessere und zukunftsträchtigere Alternative gegenüber dem Zionismus in Stellung gebracht, um das jetzt geläuterte Deutschland so doch noch als den legitimen Statthalter des 1000jährigen Reichs als der ewigen, weil endlich gerechten, grundgesetz-, menschen- und völkerrechtskonformen Herrschaft zu erweisen.
Moishe Postones Kritik an Klaus Theweleits Männerphantasien stimmt zwar genau und trotzdem scheint sie der unmittelbaren Evidenz vor dem Hintergrund der praktischen Verschränkung und nur analytisch zu trennenden Amalgamierung von antisemitischer und misogyner Gewalt am 7. Oktober auch zu ermangeln, so wie seine kanonisch gewordenen Thesen zum Antisemitismus, die besonders auf die industrielle Vernichtung der Juden zielten, keine Rückschlüsse darüber erlauben, weshalb die Juden an diesem Tag ausgerechnet auf diese archaische Art und Weise getötet wurden. Wenngleich es sich beim Djihadismus mehr um eine Reaktion auf die Krise des traditionellen islamischen Patriarchats durch den Einbruch des kapitalistischen Weltmarkts handelt denn um eine Fortsetzung des Patriarchats im klassischen Sinne, hätte die Kritik, die um dessen sexualpathologische Komponente weiß, den islamischen Antisemitismus unter Berücksichtigung der veränderten gesellschaftlichen Voraussetzungen gerade im Anschluss an Postone auch psychoanalytisch, das heißt vor dem Hintergrund der psychosexuellen Konstitution des Individuums und der Abwehr- und Spaltungsmechanismen zu begreifen, die gerade die patriarchale Logik des »islamischen Phallozentrismus« für dessen Krisenbewältigung bereithält. Die Autarkiephantasien, auf die dieser in letzter Konsequenz hinausläuft, bilden nämlich erst die subjektiven Voraussetzungen für eine der Vernichtung entgegenstrebende Entgrenzung und Totalisierung der Projektion zur pathischen und damit das, was der ureigensten Tendenz des Kapitals zur Vernichtung und der von ihm selbst inaugurierten Denkform in den Kategorien der Spaltung von Tauschwert und Gebrauchswert, vom Individuum im Moment seines Zusammenbruchs selbst entgegenkommt.