Thomas von der Osten-Sacken
Vom Elend der Flüchtlinge und derer, die ihnen helfen wollen
Ein Vortrag vom 22. Juli 2021
NGOs, Hilfsorganisationen, Freiwillige etc. sind eingesprungen, wo der Staat versagt hat. Was relativ schnell zu extrem absurden Situationen geführt hat, zeitweilig waren auf einer kleinen Insel wie Lesbos einhundertzwanzig NGOs registriert und achthundert Volunteers unterwegs und man hat in Mytilini mehr von diesen NGO-Westen gesehen als Griechen. Der erste Schritt, wenn relativ unkontrolliert – und da ist Moria noch ein Beispiel von vielen – Hilfsorganisationen von der Leine gelassen werden, ist nichts weiter als eine Privatisierung staatlicher Aufgaben, indem der Staat noch nicht einmal an irgendwelche nichtstaatliche Akteure irgendetwas delegiert, sondern nichtstaatliche Akteure im Prinzip in einem rechtlichen Niemandsland anfangen, ihre eigenen Strukturen aufzubauen. Es gibt dann immer zwei Arten nichtstaatlicher Akteure. Das eine sind all diese Hilfsorganisationen, die, wo immer sie, jenseits einer sehr strikten Kontrolle, anfangen zu arbeiten, generell für sehr problematische Strukturen sorgen und inzwischen jeder, der das mal erlebt hat, vor nichts so viel Angst hat wie vor der sogenannten ›NGOisierung‹ von Konflikten … Das zweite ist, dass natürlich, je weniger rechtliche Strukturen klar sind, je schwächer die eigentliche Exekutive in so einem Camp ist, desto mehr sich diese ganzen Schattenstrukturen entwickeln. Dieses Moria-Camp, wie es vor dem Brand letztes Jahr ausgeschaut hat, war de facto ein Ort, an dem es noch nicht mal eine einheitliche Jurisdiktion gegeben hat. Also es gab das Zentralcamp und dann einen Zelt-Slum drum herum; das Camp-Management, also die Vertretung von Militär und griechischer Regierung, die das offiziell geleitet haben, hat immer erklärt: wir sind für dieses Zeltgebiet nicht zuständig.
Thomas von der Osten-Sacken
Wahn und Wirklichkeit: Der Blick auf den Nahen Osten
Ausschnitte aus einem Mena-Watch-Gespräch mit Florian Markl
In solchen Konflikten ernährt irgendwann der Krieg den Krieg wie es im Dreißigjährigen Krieg hieß. Das heißt, Syrien ist hochgradig fragmentiert. Es existiert niemand, der quasi von oben die Order geben kann: »Jetzt ist Frieden. Ab morgen schweigen die Waffen.« … Man hat zugeschaut, wie staatliche Souveränität vollkommen ausgehöhlt wurde. Syrien ist heute zwar de facto noch irgendwo auf der Landkarte als Staat schraffiert, aber das reale Syrien ist ein Gebiet, in dem nur noch parastaatliche Souveränität ausgeübt wird. Und zwar nicht nur in den großen Teilen, also denen vom Regime, von den Rebellen, vom Islamischen Staat kontrollierten Gebieten. Inzwischen gibt es die syrische Armee als funktionsfähige Organisation ja auch nicht mehr.
Thomas von der Osten-Sacken
Bitte keine Reisereportagen aus Kurdistan!
Diskussion
Die jüngsten Auseinandersetzungen in Kurdistan haben also recht wenig mit Projektionen oder Wahn zu tun, sie sind recht real. Und sie helfen leider einmal mehr, den Konflikt massiv zu polarisieren. Und daran haben Akteure im Nahen Osten generell ein Interesse: Weg mit den Grautönen: Entweder du bist mit mir oder dem Feind. Und Feinde gehören vernichtet. Gab es bis letztes Jahr die vage Hoffnung auf eine größere Pluralität, eben auf eine Entwicklung, für die etwa teilweise die HDP steht, steht man sich heute wieder unversöhnlich gegenüber. Kurzfristig profitieren sowohl Erdogan als auch die PKK von dieser Entwicklung, die Bevölkerung zahlt den Preis. Was langfristig sein wird, kann niemand sagen.
Thomas von der Osten-Sacken
Elemente und Ursprünge der Flüchtlingskrise
Aus einer Podiumsdiskussion im Republikanischen Club in Wien, 11. Januar 2016.
Man hat es ja nicht mit Gegnern zu tun, die dumm sind. Das ist das Bild des Rassisten. Weder das Assad-Regime, noch das iranische Regime, noch Putin sind dumm, sondern haben im Gegenteil sehr gut geölte, funktionierende Propagandamaschinen, Medien: ob das nun diese ganze russische RT und Sputnik News sind oder die unterschiedlichen iranischen Medien – sie können mit Ängsten spielen und tun das die ganze Zeit. Und die Angst im Westen vor Al-Qaida oder ISIS ist wesentlich größer als die Angst vor dem Iran oder im Augenblick der ›Achse des Widerstands‹. Und darauf wird ganz gezielt die ganze Zeit gespielt: »Wir führen doch den Krieg gegen den Terror, wir sind doch diejenigen, die die Terroristen bekämpfen.« Bis hin zu diesem Bild, dass im Augenblick jeder Weg nach Teheran führt, um den Terror zu bekämpfen, und man nur einmal die Homepage des State Department öffnen müsste und nachsehen, welches Land eigentlich das Land ist, das Jahr für Jahr als der Hauptsponsor des internationalen Terrorismus geführt wird, und das ist der Iran. Aber der Iran gilt nun als »unser Partner im War on Terror«.
Thomas von der Osten-Sacken
Die Schimäre vom kleineren Übel
Ein Gespräch über die Lage im Nahen Osten
Nun ist die Außenpolitik der Islamischen Republik führend, wenn es um Destruktivität geht, wie alle anderen Islamisten haben sie enorme Schwierigkeiten, irgendetwas konstruktiv aufzubauen. Und der Irak unter iranischer Schirmherrschaft entwickelte genau diese destruktive Dynamik: Unter Nouri al-Maliki besetzten seine Anhänger alle wichtigen Positionen, Sunniten wurden gnadenlos marginalisiert, mit den Kurden befand man sich im Dauerclinch, Institutionen wie die Armee verwandelten sich in De-facto-Milizen. Und dann brach der sogenannte Arabische Frühling aus, der die Hegemonie der Islamischen Republik in Syrien radikal in Frage stellte. Bis 2012 war Iran ganz sicher einer der Verlierer der Entwicklung im Nahen Osten, bis in Syrien der Islamische Staat als Hauptakteur auftrat und man sich regional und auf internationaler Bühne plötzlich als Vorkämpfer gegen den Terrorismus gerieren konnte. Geschickt haben dabei iranische Alliierte in der ganzen Region geholfen, diesen Konflikt zu konfessionalisieren und zu sakralisieren. Eine Politik, die – so zynisch und unmoralisch sie auch immer sein mag – in einigen Fällen amerikanischen Interessen gedient hat, etwa im Kampf gegen ›Kommunisten‹ in Süd- und Lateinamerika. Eine solche Realpolitik setzt aber voraus, dass man es miteinigermaßen rationalen Akteuren zu tun hat, wie Pinochet sicher einer war. Die Islamische Republik aber ist kein solch ›rationaler‹ Akteur, ebenso wenig wie die Nazis es waren. Und deshalb verschlimmert sich die Situation auch immer weiter, weil überall solche Partner gesucht werden, früher waren es Saddam Hussein oder die Saudis, heute liebäugelt man mit Teheran – nur um die verheerenden Fehler zu wiederholen. Wobei, und das unterscheidet Iran von den anderen, die iranische Regierung sich wesentlich cleverer zu präsentieren versteht, was eben daran liegt, dass sie immer so tun kann, als vertrete sie eigentlich die Interessen des Nationalstaates Iran, der, gäbe es dort einen regime change, ja auch durchaus ein konstruktiver Partner sein könnte!