Der Antisemitismus ändert manchmal seinen Namen, aber nie seine Haltung. Immer erzählt er uns die gleiche finstere Geschichte von Machenschaften und Verschwörung. Ob Zionist oder Jude, immer ist der negative Held dieser Geschichte mit den gleichen Kräften ausgestattet: mit denen des Kraken, dieses vielarmigen Monsters, das in seinen Tentakeln zahllose Opfer vernichtet, oder mit denen der Spinne, die geduldig ihr feines Gewebe spinnt und fast die ganze Menschheit in den Maschen ihres Netzes fängt oder fangen möchte. Porträt des Juden als Kopffüßler oder Insekt. Aber warum gerade dieses Bestiarium? Warum nimmt die Allergie gegen die Juden prinzipiell die Form einer Paranoia an? Vermutlich weil die jüdische Fremdheit keine Andersartigkeit wie die anderen ist. Denn »diese Leute« entziehen sich jeder Einordnung, der des Blicks ebenso wie der des Begriffs und der des Staats. Und wie dem Blick entzieht sich diese immaterielle Differenz auch der Definition. Sind die Juden ein Volk? Eine Religion? Eine Nation? Alle diese Kategorien sind irgendwie anwendbar, keine befriedigt wirklich. Und drittens kann man den Juden heute überall begegnen, seit der Öffnung der Ghettos entziehen sie sich als Gruppe jeder Lokalisierung. Zerstreut über die Welt, unsichtbar und unbestimmt sind sie, und genau dieses dreifache Scheitern des Strebens nach Klarheit ist es, was den Juden so leicht die Anklage der Verschwörung an den Hals zieht.