Ein Meister der Rackets ist noch kein Gegenhegemon

Thorsten Fuchshuber: Wo China als eines der Länder mit der größten Wirtschaftsleistung unmittelbare Abhängigkeitsverhältnisse durch seine Marktmacht schaffen möchte, um so, wie Gerhard Scheit sagt, »den Weltmarkt von innen her aufzulösen« zu versuchen, will Russland diesen quasi von außen, durch seine Militärmacht torpedieren, um dessen Universalisierungstendenz zu brechen. Die Russische Föderation verfolgt also ebenfalls eine Politik, die immer zugleich auch gegen die Gesetze des Weltmarkts gerichtet ist, und unmittelbare Abhängigkeiten schafft sie über Rohstoffzuwendungen übrigens auch. Trotzdem bleibt Russland zugleich über den Handel mit Rohstoffen sowie anderen Ex- und Importen an diesen Weltmarkt gebunden. Daher würde ich auch nicht von einer Simulation gesellschaftlicher Dynamik auf kapitaler Grundlage sprechen, sondern diese Dynamik besteht tatsächlich, auch wenn es, wie du richtig sagst, selbstverständlich deutliche Autarkiebestrebungen gibt. Es gib daher durchaus Kräfte innerhalb des russischen Systems, denen die derzeitige Sanktionspolitik von EU und USA entgegenkommt. Sergej Glasjew etwa, der Berater Putins während der Krimannexion und seit dem vergangenen Jahr Kommissar für Integration und Makroökonomie bei der Eurasischen Wirtschaftskommission, dem Exekutivorgan der Eurasischen Wirtschaftsunion, wittert bezüglich seiner Vorstellungen von ›Selbstversorgung‹ Morgenluft. Bereits 2014 hatte er hierzu zahlreiche Vorschläge gemacht, wie etwa das Einfrieren ausländischer Guthaben, die Beschränkung von Devisentransaktionen und die staatlich erzwungene Importsubstitution durch russische Produkte. Auch jüngst hat er in einem Artikel gefordert, »die nationale Souveränität in der Wirtschaft zu stärken« und freut sich beispielweise über die Kapitalrückführung nach Russland aufgrund der Sanktionen gegen zahlreiche Oligarchen. Das erinnert schon auch ein wenig an die Beobachtungen Alfred Sohn-Rethels zur Forderung nach Autarkie in der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik, auch wenn sich das nicht einfach übertragen lässt. Sohn-Rethels Unterscheidung von einerseits ökonomisch intakten Teilen der Wirtschaft, die stark genug waren, »den Konkurrenzkampf in der Welt mit wirtschaftlichen Mitteln zu bestehen« und die folglich weder für Autarkieforderungen noch »für die Methoden des Krieges und der gewaltsamen Eroberung« zu begeistern gewesen seien, und andererseits ökonomisch paralysierten Teilen der Wirtschaft, die »politische Bewegungsfreiheit« besaßen, lässt sich auf Russland heute so ›anwenden‹, dass es erstere dort quasi nicht gibt, während letztere eben in den völlig mit dem Staat und seinen Apparaten verschmolzenen russischen Konzernen bestehen. Aber zentral ist, denke ich, der von Gerhard Scheit angesprochene Aspekt der gegen den Weltmarkt gerichteten Politik – das ist es, was China und Russland meinen, wenn sie einander »Förderung der globalen Multipolarität und der Demokratisierung der internationalen Beziehungen« versprechen.

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