Lebensschutz und Nationalpolitik

Das Mindeste, was sich nun gegen den Begriff »Lebensschutz« einwenden ließe, ist, daß die programmatische Erklärung, das Leben schützen zu wollen, stets und unter allen Umständen eine dreiste Lüge ist: man kann das Leben von Menschen nicht schützen, ohne beispielsweise dasjenige von Pockenviren zu vernichten. Auch ist das Leben in seiner abstrakten Allgemeinheit und Gesamtheit keineswegs bedroht und würde in Gestalt von Einzellern, Insekten oder Ratten und Tiefseefischen sogar beliebig viele Atomkriege unbeschadet überstehen. So schwingt in jeder mystisch gefärbten Achtung vor dem Leben überhaupt und ganz allgemein die nur zu gut begründete Weigerung mit, offen zu erklären, um wessen Leben es sich dreht. Der »Lebensschutz« hält sich gewissermaßen sämtliche Optionen offen und behält es einem späteren Zeitpunkt vor, die ganz plausibel aus ihm abzuleitende Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben willkürlich und in eigener Machtvollkommenheit zu treffen. Der von jedem konkreten Vorstellungsgehalt gereinigte Lebensbegriff ist tatsächlich der leere Sack, der nur darauf wartet, von jenen »mit Inhalt gefüllt« zu werden, wie es in der akademischen Amtssprache heißt, welche die definitorische, und das heißt: politische und praktische Macht dazu haben. Lebensschutz impliziert das Recht des Lebensschützers, willkürlich nach eigenem Gutdünken und eigenem Interesse darüber zu befinden, wen er töten darf.

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