Leid und Mythos

Adornos Geschichtsphilosophie ist damit mitnichten in einem uneingeschränkt pessimistischen Sinne ›negativ‹, wie die verkürzte Lesart Sautermeisters nahelegt. Keineswegs betont Adorno das Leid der Unterlegenen, um zu beweisen, dass die Menschheit auf ewig in einem gewaltvollen Zirkel aus Aufklärung und mythologischem Rückfall gefangen sei. In seiner empathischen Hinwendung zu den Schicksalen des geblendeten Polyphem und des betrogenen Thoas will Adorno – so ließe sich es wohl besser formulieren – der Gesellschaft vielmehr ein Bewusstsein ihrer selbst geben. Ihre Erfahrungen melden »der Erkenntnis an, daß Leiden nicht sein, daß es anders werden solle«. Als zertretene Blumen am Wegesrand der Geschichte repräsentieren sie nicht selbst das Bessere, ihr Schmerz wird jedoch zum unumgänglichen Maßstab für die Verwirklichung eines wahren Fortschritts. Mit Walter Benjamin ließe sich sagen: »Solange es noch einen einsamen Barbarenkönig gibt, solange gibt es noch Mythos.«

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