Indem Finkielkraut das Selbstbild der Juden mit dem Fremdbild konfrontiert, gelingt es ihm, den Zusammenhang zwischen beiden herzustellen. Dadurch vermag er auch den Anteil der Juden an der Entstehung des antisemitischen Bildes zu rekonstruieren, ohne die Antisemiten zu exkulpieren oder die Juden für ihre Verfolgung verantwortlich zu machen. Verantwortlich ist für ihn der bürgerliche Glaube an den Fortschritt und die Hoffnung, die die Juden in ihn setzten. Nach diesem Glauben sollten sich die Juden in den modernen Nationalstaat integrieren, dabei ihre kollektive Identität weitestgehend aufgeben, um so zu Gleichen unter Gleichen zu werden. Doch die Assimilation habe unter den christlichen Bürgern Ängste befördert und dadurch gerade das Bild des Kraken entstehen lassen. Der Fortschritt, der durch die Rechtsgleichheit erreicht werden sollte, beförderte die rassistische Reaktion. Oder andersherum: Der Antisemitismus wurde rassistisch, als die Juden nicht mehr als solche zu erkennen waren, weil sie ihr Judentum aufgaben, um als Bürger in der Nation aufzugehen. Der Rassismus war eine Reaktion auf die Assimilation, die den Juden die Gleichheit versprach. Insofern ist der rassistische Antisemitismus nur eine spezifische Reaktion auf eine besondere gesellschaftliche Konstellation und kein ewiges Merkmal des Antisemitismus.