»Muss ein lieber Vater wohnen«

Bela Grunberger liest die vermeintlich frohe Botschaft symptomatologisch als Fallbericht eines die ödipale Integration in die Realität des Judentums aufgrund schwerster Traumatisierung verweigernden Narzissten und erkennt im Rahmen einer streng an der Schrift orientierten Anamnese auch in der ruhelosen Wanderschaft das Symptom: »Narzissten haben ›Sohlen aus Wind‹«. … Grunberger stellt fest, dass Jesus sich als »zeitlos« außerhalb der Abstammungslinie situiere: »Christus ist doppelt: zeitlos, ist er Gott: ›Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham ward, bin ich‹, läßt Johannes ihn sagen (8,58). Christus tritt so aus der grammatischen Logik der gewöhnlichen Sprache heraus; er ist aus einem anderen Stoff als der Gründer des Judaismus; er situiert sich außerhalb der Abstammungslinie Abraham – Isaak – Jakob, die diesen nichtdarstellbaren Gott bewundert, dem der Judaismus die gesamte narzißtische Besetzung vorbehält, indem er sich jede Identifizierung mit der Gottheit untersagt.« Im Lichte der grenzüberschreitenden und außerordentlich erfolg- und folgenreichen paulinische Theologie und Missionspraxis ist nochmals festzuhalten: Christus situiert sich zeitlos außerhalb der Abstimmungslinie. Diese Abstammungslinie ist aber nichts weniger als der Begriff der gesellschaftlichen Synthesis der alten patriarchalen Welt. Diese ist mindestens dreifach vertikal in der Stufenfolge von Gott, dem Monarchen und seinen Priestern und den Vätern geordnet, und der Monarch wird als heilig ambivalenter Mittler zwischen Gott und den Vätern, der Transzendenz des namenlos Unbegreiflichen und der innerweltlichen Macht verstanden und in der Regel anerkannt. Weil diese Abstammungslinie aus dem transzendenten Raum kommt und von dort aus alles Endliche berührt, hat jeder dem Gesetz als der Selbstmitteilung Gottes hörend Gehorchende am Absoluten Anteil. Das ist das anfänglich platonische Moment schon im vorplatonischen Judentum: Methexis. Indem Christus aber mit der historischen Zeit und der genealogisch verfassten Synthesis des Judentums bricht, krümmt er die Abstammungslinie vom innerweltlichen Ende her gewissermaßen nach innen und begründet so eine radikal neue Fühl- und Denkform: die vaterlose Figur des scheinbar absoluten weil rein innerlichen Selbstverhältnisses.

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