Die Verwandlung der Shoah in den Gründungsmythos Holocaust führt so zu ihrer Entwirklichung zu einem Symbol allgemein-menschlichen Unrechts, das mit jedem Unrecht assoziiert werden kann. Wenn aber jeder seine persönliche Geschichte, auch wenn diese nichts mit dem konkreten Ereignis zu tun hat, auf die Ermordung der europäischen Juden projizieren können soll, dann ist jedes Beharren auf den historischen Tatsachen und jedes Zurückweisen von unangemessenen Vergleichen eine Störung des öffentlichen Friedens. Auch die mit der Mythologisierung des Holocaust einhergehende Universalisierung führt zu seiner Derealisierung. Die Verwandlung der Juden zu Platzhaltern für all jene, denen Gewalt und Unrecht angetan wurde und wird, schneidet das historische Ereignis der Shoah von ihren konkreten Ursachen ab. Sie wird dem geschichtlichen Kontinuum enthoben und für die gegenwärtigen Bedürfnisse funktionalisiert. Folgerichtig verallgemeinert Assmann auch den Antisemitismus zu einer »gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit« (Wilhelm Heitmeyer). Der spezifische Hass auf die Juden als Juden gilt ihr nur noch als ein variables Signalmuster: »Unter neuen historischen Bedingungen kann ein Signalmuster wieder aufleben, das sich nun von Juden auf andere ethnische und soziale Minderheiten verlagert.« Wer hiernach etwa auf den Antisemitismus von Einwanderern oder Muslimen verweist, stellt für Assmann eine Bedrohung für den Erinnerungskonsens der multikulturellen Gesellschaft dar.