Am 13. August 1920 hat Adolf Hitler uns eine bis heute gültige Frage gestellt, als er im Münchner Hofbräuhaus seine erste überlieferte Rede über den Antisemitismus gehalten hat. Er fragte das Publikum: »Wie kannst du als Sozialist nicht Antisemit sein?« Das ist bis heute die Frage geblieben; und ich hoffe, dass die weiteren Ausführungen, die von der Geschichte des Antizionismus in Deutschland handeln sollen, diese Frage doch in einem nicht-hitlerischen Sinne helfen werden zu klären. Denn irgendwann zwischen der Wannseekonferenz und der Gründung Israels hat der Hass auf Israel jedwede Geschichte verloren. Danach gibt es keine Antisemiten mehr: weil alle es sind und jeder qua bürgerliches Subjekt schon sowieso. Der Antisemitismus wird nun zum logischen wie zum historischen Apriori, quasi zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins der Deutschen. Als außer Johann Georg Elser kein proletarisches Subjekt zur Verteidigung der Juden die Waffen erhob, als noch die Idee der Kommunistischen Internationale, die Weltrevolution für die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft ausgestrichen und durch Stalins »internationalen Patriotismus« ersetzt wurde, hatte sich die Kapitalgesellschaft mit sich selbst zur zwar negativen, aber doch fugenlosen Identität vermittelt. Das heißt, sie hatte sich historisch ausgemittelt, und sie hatte darin jedwede Idee eines Fortschritts der Menschheit im Bewusstsein der Freiheit weit von sich gewiesen. Der Sinn der Geschichte selbst wurde liquidiert. Danach ist jede ›List der Vernunft‹, deren emanzipative Logik aus der bewusstlosen Wechselwirkung der ihrer selbst unbewussten Subjekte folgen sollte, nur Projektion und macht sich, so Adorno, »der Kardinalsünde schuldig: Sinn dort zu infiltrieren, der nicht existent ist«, und noch die unendlich tibetanisch-marxistische Gebetsmühle vom ›Grundwiderspruch von Lohnarbeit und Kapital‹ beweist, dass Adornos Frage, »ob es denn Geschichtsphilosophie ohne latenten Idealismus« geben könne, strikt verneint werden muss.