Dagegen hat Freud mit dem Triebbegriff immer an der Natur als einem Stück Unverfügbarkeit im Menschen festgehalten, woraus einerseits seine pessimistisch-bescheidene Hoffnung auf das Vermögen von Erziehung, Vernunft und Zivilisation und andererseits die Reflexion auf jene Kraft, die sich im Innern des Individuums gegen die Zumutungen der äusseren Zurichtung wehrt, folgten. Der Widerstand des Es bedeutet daher in der Psychoanalyse zweierlei: Einerseits gegen eine dem Unbewussten unliebsamen Angriff auf mit viel Aufwand verdrängte Stoffe, andererseits die bedürftige Natur, die sich zur Wehr setzt, dort, wo die Bedürftigkeit zerschlagen werden soll. Anders gesagt: Das ES wehrt sich in beiden Fällen gegen die janusköpfige Vernunft, die aufklärt und zerschlägt. Das freudsche ES ist das Objekt, an dem sich die Dialektik der Aufklärung über sich selber aufklären kann. … Die Unfähigkeit, Abweichung und Widersprüchlichkeit in sozialen Beziehungen zu denken, ist in psychologischen Deutungssystemen regelmässig dort zu besichtigen, wo die Triebtheorie abgelehnt wird. Und angesichts von Abweichung droht die idealisiert-harmonische Anthropologie regelmässig ins Schwarze zu kippen. So zu beobachten schon früh beim ehemaligen Freudschüler Alfred Adler, der mit seiner Individualpsychologie, die ja eine beliebte Gemeinschaftspsychologie ist und gerade im pädagogischen Milieu zum Teil bis heute einen guten Ruf geniesst. Adler, der Freud ob seines abwertenden Menschenbildes kritisiert, schreibt: «Neurotiker, Psychotiker, Verbrecher, Alkoholiker, schwer erziehbare Kinder, Selbstmörder, Perverse und Prostituierte sind Versager, weil es ihnen an Gemeinschaftsgefühl fehlt.» Dagegen geniessen die Neurotiker bei Freud ja geradezu einen exzellenten Ruf: «Die Neurose ist eine Krankheit – eine medizinische Angelegenheit, – doch ist sie auch eine Angelegenheit der Zivilisation – eine moralische Angelegenheit – die eigenartige Quelle der Energie der modernen Menschen. Schon Breuer wies auf die Lebendigkeit, die Neugierde und die Intelligenz der Hysteriker hin. Die Neurose ist der Preis dafür. Sie ist somit eine Erfahrung, aus der wir etwas lernen können. Die Neurose ist für Freud zugleich Fehler und Bedingung der Zivilisation.», so Alain Ehrenberg über Freuds Verhältnis zur Neurose.