sans phrase - Zeitschrift für Ideologiekritik

Heft 02, Frühjahr 2013

Leider vergriffen... steht aber hier als E-Book bereit.

Gerhard Scheit: „… ihr habt den Tod gehasst“. Claude Lanzmann und die Kritik der politischen Gewalt – mit einem Exkurs über Jean-Luc Godard

Hegel bejaht die Herrschaft, soweit er, wie in der Phänomenologie, das Opfer als Voraussetzung des Geistes fetischisiert. Gegen diesen Krieg des Bewusstseins beruft sich Lanzmann auf seine „Brüder“ aus den Sonderkommandos von Treblinka, auf das Leben, das er nicht anders als durch Hass auf den Tod bestimmt wissen will. Das prägt seine Methode des Filmemachens, die das Potential dieser Kunst geradezu neu entdeckt: Es gibt darin kein übergeordnetes, gottgleiches episches Subjekt, das losgelöst von den Erfahrungen der einzelnen Individuen als ein „außer der Welt hockendes Wesen“ (Marx), etwa als neutrale Stimme eines Kommentators aus dem Off, die Vergangenheit Revue passieren lässt. Was immer auch erzählt wird, bleibt an die leibliche Präsenz des Erzählenden unaufhebbar gebunden, auch wenn seine Stimme aus dem Off kommt.

Alex Gruber: „Palästina strebt nach Unabhängigkeit wie das Kino…“ Jean-Luc Godards Engagement gegen die Filmindustrie

Die phantasierte Übermacht eines mafiotisch-jüdisch-amerikanischen Kinos und seiner Erzählstruktur ist auch der Grund, den Godard für sein eigenes Scheitern angibt, zur angepeilten Unmittelbarkeit des Bildes vorzudringen. Er selbst sei noch von der „Pest Hollywoods“ und dessen Kolonisierung des Bildes durch die Narration angesteckt: eine Infizierung, von der noch die gesamte Nouvelle Vague in ihrer lediglich scheinbaren Opposition gegen das traditionelle Kino geprägt gewesen sei.

Christoph Hesse: Lanzmann ici et Godard ailleurs

Pourquoi Israël ist jedoch allem romantischen Anschein zum Trotz nicht das Werk eines ungeahnten Talents, das plötzlich Gelegenheit bekommt, sich in seiner bis dahin unentdeckten Begabung auszutoben. Der Film ist das Produkt eines zwanzigjährigen Reflexionsprozesses, und das außergewöhnliche Talent, das Lanzmann bei der für ihn ganz neuartigen Arbeit unter Beweis stellt, lernt man vor dem Hintergrund dieser äußerst zögerlichen Entstehungsgeschichte erst zu schätzen. Das Verfahren, das den Film auszeichnet, hat er nicht den großen Vorbildern des Dokumentarfilms, nicht Robert Flaherty, Dziga Vertov, Joris Ivens oder John Grierson und auch nicht dem Free Cinema, dem Direct Cinema oder dem Cinéma vérité, sondern der eigenen literarischen Arbeit abgeschaut.

Tobias Ebbrecht: Standhalten im Bilde? Die ‚Kunst der Kunstlosigkeit‘ und der filmische Umgang mit den Bildern des Grauens

Die Verbrechen haben die Möglichkeiten des Ausdrucks selbst in Frage gestellt. Darum wird die Quantität, die Dimension des Massenmords, zur Qualität, die aber als solche das Kunstwerk notwendig sprengen muss. Allerdings macht Adornos Briefzeile implizit auch darauf aufmerksam, dass diese Infragestellung des Ausdrucks nicht nur auf die Kunst (und er führt hier die Musik an), sondern auf die Vermittlung generell bezogen ist. Wenn er vom „Komplex, für den das Wort Auschwitz einsteht“, schreibt, dann macht er deutlich, dass der Begriff Auschwitz selbst ein Platzhalter für das Unfassbare der Verbrechen ist.

Irene Lehmann: Formen der Unverständlichkeit. Luigi Nono und das engagierte Kunstwerk

Während in Rezeptionskreisen ernster Musik in dieser Zeit über die Zulässigkeit elektronisch erzeugter Klänge im sakralen Bereich der hohen Kunst debattiert wird, beschreibt Nono seine Erleichterung, mit den Arbeitern nicht darüber diskutieren zu müssen, ob seine Kompositionen „noch“ Musik seien. Deutlich wird, dass es im Prinzip weder ein Ende der Kunst noch ein Nichtverstehen zeitgenössischer Kunst geben kann, das sich mit der Neuheit ihrer Verfahren oder Formen begründen würde. Zumindest keines, das sich auf den ästhetischen Bereich alleine beziehen ließe. Es müsste präziserweise auf die Prozesse der Gesellschaft selbst bezogen werden, deren Unverständlichkeit mit ihrer Nichtabbildbarkeit korrespondiert.                                                                                                                        Diskussion | Gerhard Scheit: Eine Anmerkung zu Sartres Engagement-Begriff

Oshrat Cohen Silberbusch: Wir Eichmannsöhne? Günther Anders und die Shoah

Günther Anders, so scheint es auf den ersten Blick, hat sich für die Shoah letztlich wenig interessiert. Das Ereignis, das seinen eigenen Worten zufolge sein Denken nachhaltig geprägt hat, ist nicht Auschwitz, sondern Hiroshima: dass „der 6. August 45, also Hiroshima, einen Einschnitt bedeutet hat, ist unbestreitbar. Diese Zäsur war wohl die schärfste in meinem Leben …“ Ein Blick auf sein Werk bestätigt dies: Hiroshima ist allgegenwärtig, und Auschwitz, bleibt ganz in dessen Schatten. Anders war damit gewiss nicht allein: In den 1950er und 1960er Jahren wurden Auschwitz und Hiroshima oft beinahe reflexartig in einem Atemzug genannt, als wäre der Hinweis auf die Atombombenabwürfe in Japan die Bedingung der Möglichkeit, über die deutschen Vernichtungslager zu sprechen.

Andreas Stafflinger: Materialistische und idealistische ‚Technikkritik‘ bei Günther Anders

Auch Anders’ Technikbegriff ist der Produktionssphäre entnommen: Er weiß sehr wohl, dass die Einwanderung des „Apparat-Es“ in die Subjekte nicht der bloßen Relation eines Arbeiters zur einzelnen Maschine entsprungen ist, da diesen isoliert betrachtet Rohstoff, Arbeitsanlass und Absatz fehlt. Vielmehr, so Anders, müsse der ganze Betrieb, wie ein in sich funktionierender Apparat, wie ein einziges großes Gerät gedacht werden, in dem die einzelnen Apparate, genauso wie die im Arbeitsprozess eingesetzte Arbeitskraft als Maschinenteile funktionieren. Doch an dieser Stelle bricht Anders die Reflexion ab, wenn er daraus folgert, dass daher eine Tendenz entspringe, „daß die Apparate grundsätzlich auf einen ‚Idealzustand‘ lossteuern, auf einen Zustand, in dem nur noch ein einziger und lückenloser, also der Apparat existiert“ und wirft seine ganzen Einsichten in den Zusammenhang von Technik und Ware, von Bedürfnis und Verkauf – kurz: sämtliche Vermittlungen – über Bord.

Joel Naber: Verleugnung des Namens. Die ‚Affäre Badiou-Winter‘ in Les Temps Modernes

Badiou will dem Namen des Juden die historische gewordene Bedeutung austreiben, um die post-christliche Projektion darin herrschen zu lassen. Und bei aller echt-unechten Identifikation und Einfühlung ist doch deutlich, dass es eine Grenze der Universalisierung auch dieses christlich-humanitären Judenbildes gibt: Denn der Juif Errant, der ewige, wandernde Jude ist zugleich immer der verfluchte Jude – der Jude, den man von überall nach Belieben wieder vertreiben kann.

Éric Marty: Alain Badiou und Israel

Man kann also sagen, dass das, was Badiou in Bezug auf seine Freunde von diesen tiefgreifend unterscheidet, von denen die meisten sich der marxistischen Richtung zurechnen und die daher keinerlei Grund haben, die Philosophie retten zu müssen, ist, dass Badiou einen starken, persönlichen und philosophischen Disput mit der jüdischen Frage unterhält, die ihm ein Problem stellt, indem sie die bequeme und autoritäre Universalität seines Denkens, und seiner eigenen Herrschaft über das Denken, in Frage stellt. Kurz, dass sie ein Hindernis für unseren neuen Platon ist, oder, anders gesagt, dass die Beziehung Badious zum Staat Israel, zur jüdischen Tatsache, zur Frage von Auschwitz zweifellos eine umso leidenschaftlichere und negativere ist, als sie ihn in seinen Augen in einen tödlichen Kampf um die Beherrschung verwickelt.

Esther Marian: Redemptorische Gewalt. Jean Amérys Interventionen für Israel

Für das politische und intellektuelle Bezugssystem Amérys ist die Einsicht entscheidend, dass Gewalt notwendig und moralisch gerechtfertigt sein kann, und zwar ist sie es dann, wenn sie „die Affirmation des sich selbst verwirklichenden Menschen gegen die Verneinung des Menschen“ ist. Die Theorie der Gewalt hinter diesen Gedankengängen geht auf Frantz Fanons 1961 erschienenes Manifest Die Verdammten dieser Erde zurück, das die überall in Afrika, Asien und Lateinamerika sich formierenden nationalistischen Entkolonialisierungsbewegungen nachträglich theoretisch begründete, und, von Sartre mit einer enthusiastischen Einleitung versehen, sowohl für den französischen Existenzialismus als auch für die Black-Power-Bewegung und die Neue Linke grundlegend wurde. Die Aneignung von Fanons Thesen zur Legitimation Israels ist insofern eine heikle Angelegenheit, als die Bewegungen, auf die sie zugeschnitten sind, sich fast durchgehend im Lager der Feinde Israels wiederfinden sollten.

Renate Göllner: Wer wählt die Neurose? Wiederkehr der Psychoanalyse in der Existenzphilosophie Jean-Paul Sartres

Sartre, in der Tradition von Descartes’ Rationalismus erzogen, empfand in seiner Jugend eine „tiefe Ablehnung“ gegenüber der Psychoanalyse und war von der Idee eines Unbewussten „schockiert“. Doch dieser Schock führte nicht wie bei so vielen anderen zur Ignoranz. Im Gegenteil: bereits seine frühe Philosophie, die im Freudschen Sinn als eine einzige Abwehr und Rationalisierung psychoanalytischer Einsichten verstanden werden könnte, zeugt im selben Maß von einer genauen Kenntnis der Freudschen Lehre; so erstaunlich es auch klingen mag, Das Sein und das Nichts (L’être et le néant) hätte ohne diesen Schock vermutlich kaum geschrieben werden können.

Christian Thalmaier: Vor dem Gesetz. Über einige Motive bei Kafka, Adorno und Freud

Indem Kafka in zarter Verstocktheit alle Prozeduren der Abwehr, die logisch und genetisch letztlich in der Verneinung realer Gewalt gründen, zu unterbrechen sucht, bewahrt er die Erfahrung des Kindes vor der siegreichen Unaufrichtigkeit der Erwachsenen, die in der tagtäglichen Feier gelungener Identifikation über das Wünschen des Kindes und die Wahrheit seiner Not zu siegen nicht aufgehört haben. Hin und her gerissen zwischen dem drohenden Untergang des Subjekts und seiner Selbsterhaltung durch Identifikation erfahren Kafkas Protagonisten in reflektierter Regression daher die Scham als die der allgegenwärtigen Schuld vorgängige Gestalt der Introjektion von Gewalt.

Manfred Dahlmann: Die Liebe zum Recht als Liebe zum Souverän. Ein ‚Lob‘ auf den Positivismus

So wenig wie der Rechtspositivismus im besonderen heilt der Bezug auf die positivistische Denkform im allgemeinen das Subsumtionsproblem, sondern verschärft es eher, so dass dessen Unlösbarkeit zum einen offensichtlicher wird – und einem kritisch-distanzierten Bewusstsein vom Recht eventuell auf die Sprünge hilft –, und zum anderen darauf verweist, dass das Verhältnis von Besonderem zum Allgemeinen in dieser Gesellschaft generell nur als ideologisches, von Grund auf verkehrtes begriffen werden kann. Vor allem was diese Verkehrung betrifft wäre aber auf einen im Positivismus generell zum Ausdruck kommenden Aspekt des vom Kapital konstituierten Realitätsbewusstseins hinzuweisen, der möglicherweise über dieses hinaus zu weisen vermag.

Andreas Benl: Debord lesen in Teheran. Die Situationistische Internationale, der Antisemitismus und die orientalische Ideologie

Die westlichen Israelkritiker goutieren den djihadistischen eliminatorischen Antizionismus, ohne ihn jedoch selbst exekutieren oder verantworten zu wollen. Die islamistischen „Anderen“ können nicht kritisiert werden, da sie sich aufgrund ihrer vermeintlichen kulturellen Differenz im Jenseits des Orbits einer universellen Aufklärung befinden, die wiederum als eurozentrisch abgestempelt wird. Genausowenig wollen sich aber die westlichen Claqueure kritisieren lassen, da sie sich nicht selbst als Islamisten verstehen, sondern „nur“ deren Motive als „progressive“ nobilitieren. Israel bliebe, würde es dieser Gegenlogik folgen, nur die Auflösung, und zwar in Erfüllung zweier sich ausschließender Ansprüche: den Vorposten des Weltjudentums auf muslimischem Boden zu tilgen und gleichzeitig den verstockten jüdischen Partikularismus gegenüber einem sich als postnational verstehenden Europa aufzugeben.

Florian Markl: Self-fulfilling Prophecies: Das syrische Desaster

Mit Sicherheit waren die Rahmenbedingungen für eine ausländische Militärintervention in Syrien anders und weitaus schwieriger gelagert, als das bei dem relativ unkomplizierten Einsatz in Libyen der Fall war. Doch der Westen verweigerte sich auch anderen möglichen Formen der Unterstützung, die unterhalb der Schwelle eines direkten militärischen Eingreifens lagen. Und nicht nur das: Durch die Schritte, die tatsächlich gesetzt wurden, trug er maßgeblich dazu bei, die Situation in Syrien sogar noch zu verschlimmern.

Ljiljana Radonic: Ante in Kroatien und Europa – Ein verworrener Freispruch

Ohne Bezug aufeinander stehen die schwerwiegenden Auffassungsunterschiede der fünf Berufungsrichter aneinandergereiht, was die Mehrheitsentscheidung als noch willkürlicher erscheinen lässt. Diese Willkür hängt nicht nur damit zusammen, dass es sich um ein internationales Strafgericht handelt, das heißt: Die Entscheidung der Richter ist nicht auf einen übergeordneten, einheitsstiftenden Souverän bezogen. Anders als die Alliierten in Nürnberg bieten die darüber wachenden europäischen Mächte kaum das Mindestmaß an Kohärenz, um hier punktuell als Ersatzsouverän zu taugen: Durch die Drohung, den EU-Beitritt nicht zuzulassen, wird politischer Druck ausgeübt – was nach einem Beitritt, siehe Ungarn, umso weniger möglich ist –, aber offenkundig trägt dieser Druck selbst zur Steigerung der Willkür in der Urteilsbildung bei. Darauf verweist vielleicht am deutlichsten das Verhalten der ehemaligen Chefanklägerin des Haager Tribunals, Carla Del Ponte.

Interview mit Magdalena Marsovszky: Vom völkischen Konsens in Ungarn

Ist ein Machtwechsel angesichts der fortschreitenden Abschaffung der Gewaltenteilung und der Verlängerung der Amtsperioden für Fidesz-Leute in entscheidenden politischen Ämtern möglich?                                                  Magdalena Marsovszky: Ich bin nicht optimistisch, weil die anderen Parteien entlang der Frage des Völkischen sehr zersplittert sind, was ihnen nicht einmal richtig bewusst ist. Die Demokratische Koalition formiert sich erst und würde vielleicht nicht einmal ins Parlament kommen. Die Veränderung der Wahlordnung führt dazu, dass Fidesz mit nur einer Stimme Vorsprung die Wahl gewinnen würde. Menschen, die kritisch denken, werden als anti-magyarisch diffamiert, so werde auch ich übrigens öfters genannt. Fidesz selbst führt zwar keine Listen über Juden, aber über Anti-Magyaren, diese werden auch von Fidesz beobachtet. Die von Fidesz an den Pranger gestellten „Antimagyaren“, oder „Magyarenhasser“ werden dann von Rechtsradikalen auf so genannte „Judenlisten“ gesetzt. Diese vervollständigen die Arbeit von Fidesz. Auf der rechtsradikalen Metapedia (abgeleitet von Wikipedia) gibt es eine Liste von „Juden im öffentlichen Leben Ungarns“, wo ich auch als Jüdin mit Rassenmerkmalen genannt werde.

Stephan Grigat: Magyarische Mobilisierung. Autoritäre und völkische Krisenbewältigung in Ungarn

Es mag sein, dass die EU trotz der Ablehnung des Verfassungsvertrags 2005 de facto mittlerweile eine Verfassung hat, „der sich die Mitgliedsstaaten freiwillig unterwerfen“, wie Jan-Werner Müller schreibt. Doch die entscheidende Einschränkung, die er selbst hinzufügt, wird vom Politikwissenschaftsprofessor nicht weiter expliziert: „auch wenn Brüssel bei Nicht-Einhaltung des Rechts keine Polizei oder gar Militär in das entsprechende Land schicken kann.“ Weil sich das so verhält, ist derzeit eine Situation wie in den USA 1957, als Bundestruppen und Nationalgarde unter Bundesbefehl den Schulbesuch von schwarzen Schülern gegen den militanten Mob der Provinzrassisten auf Befehl Washingtons hin durchsetzten, schlicht nicht vorstellbar. Es wird keine europäischen Bundestruppen geben, die Roma in Gyöngyöspata oder anderen Orten vor rassistischen Mordbrennern notfalls mit aufgepflanztem Bajonett in Schutz nehmen, wenn sich die Orbán-Regierung als unfähig oder unwillig erweist, das zu tun.

Alessandro Volcich: Die Palästinenser Italiens oder: Der unaufhaltsame Aufstieg des Beppe Grillo

Auf der einen Seite das schaffende Kapital von Volkswagen, auf der anderen das raffende der „ultrakapitalistischen Raubtiere“ der EU: Das pathisch-projektive Bewusstsein, das die Totalität des Kapitals solchermaßen aufspaltet, entpuppt sich zielsicher immer als ein antisemitisches. Und so entdecken die Grillini, die Anhänger der Fünf-Sterne-Bewegung Beppe Grillos, das politische Modell, das ihnen am besten zuspricht. Die Gruppensprecherin der Abgeordnetenkammer der Bewegung, Roberta Lombardi, bloggte Anfang des Jahres etwas über die „guten Seiten“ des Faschismus „bevor er entartete“: weil er „eine nationale Vorstellung von Gemeinschaft hatte, voll und ganz dem Sozialismus entnommen, einen sehr hohen Staats- und Familiensinn“.

Gerhard Scheit: Universalismus des Rechts und Partikularität der Zirkumzision. Traktat über die Religionsfreiheit

Die Dialektik der Aufklärung hat nichts an Aktualität eingebüßt. Die Vernunft, die davon abstrahiert, dass sie auf Ausbeutung beruht, nur weil diese Ausbeutung auf die Grundlage von Verträgen gestellt worden ist und durch das universelle Recht hindurch erfolgt, will ihr Misslingen nicht zugeben, das ihr die perennierende, das Partikulare besetzende Unvernunft vor Augen führt – und wird selbst zur universellen Unvernunft, zum Antisemitismus.

Tjark Kunstreich: Einfühlungsverweigerung

Bevor aber die „Einfühlungsverweigerung“ endgültig zum Ticket des Einverständnisses wurde, hatte sie schon eine beachtliche Karriere hinter sich. Im Anfang dieses Wortungetüms stand durchaus der Versuch zum Begriff, wie oft bei den Worten des Jargons. Daran erinnert, dass es immer im Zusammenhang mit dem Wort ‚Trauma‘ benutzt wird. An „Einfühlungsverweigerung“ lässt sich die Karriere des Traumabegriffs in den vergangenen dreißig Jahren nachzeichnen, um nicht zu sagen: nachempfinden; und beide Worte handeln immer von Juden und Deutschen und ihrem Verhältnis.

Jens Meisenheimer/David Schneider: Das Elend der Sozialphilosophie. Axel Honneths Kampf um Anerkennung

Was Honneth nicht zu passen scheint, ist, dass es unter den 193 Mitgliedsstaaten der UN glücklicherweise noch ein paar gibt, die auf antiisraelische Solidaritätsbekundungen verzichten und gegen die Aufwertung Palästinas zum beobachtenden Nichtmitgliedstaat stimmen, weil sie aus unterschiedlichen Gründen nicht bereit sind, Israel seinen Feinden auszuliefern. Hätte er bei seiner zwischenstaatlichen Betrachtung die Realität ein wenig anerkannt, anstatt den zum Rachefeldzug genötigten Schichten seine Solidarität zu bekunden, hätte er feststellen können, dass es wohl keine Bevölkerungsgruppe auf der Erde gibt, der so viel Zartgefühl und Alimentierung gewährt wird wie der palästinensischen, obwohl oder gerade weil sie immer wieder aufs Neue demonstriert, dass ein mögliches Ende der hausgemachten Erniedrigung dem Kampf gegen Israel untergeordnet ist.

Gerhard Scheit: Allegorien der Nation: Hannah Arendt und Zero Dark Thirty

Übrigens sollte Rosa Luxemburg eigentlich von Rainer Werner Fassbinder verfilmt werden, jenem Regisseur, der die Tradition der Opferverklärung im deutschen Film, wenn nicht begründet, so doch wesentlich erneuert hatte. Nach seinem Tod erwies sich Margarethe von Trotta als die geeignete Fortführerin seines Werks. Sie hat das Exzentrische getilgt und Fassbinders Idée fixe dem Fernsehformat angepasst, sodass sie auch als Lehrmaterial für die Schulen taugt. Zugleich reinigte sie den deutschen Film von jenem kruden Antisemitismus, wie er eben Fassbinders Filme kennzeichnet, indem sie ihn nämlich auf eine neue Ebene hob: War es bei Fassbinder in der Regel eine Deutsche, die von Juden gepeinigt oder im Stich gelassen wurde, so ist es nun in Hannah Arendt eine Jüdin, die von der Israel-Lobby und vom Mossad verfolgt wird.